Sestine

Die Sestine ist eine aus sechs Strophen bestehende Gedichtform zu je sechs im Deutschen jambischen Verszeilen. In sestina steckt das italienische Wort sei „sechs“/sesta „die sechste“, womit auf das strukturierende Prinzip dieser Gedichtform verwiesen ist.

 

Die Sestine ist durch eine komplexe Wiederholungsstruktur der Reim- und Strophenform charakterisiert. Die Reimwörter der ersten Strophe werden durch sämtliche sechs Strophen in festgelegter Folge beibehalten. Von der vorangegangenen Strophe wird zunächst das Reimwort der letzten Verszeile, dann der ersten, der zweitletzten, der zweiten, der drittletzten und schließlich der dritten Verszeile wieder aufgegriffen. Wenn man die Reimwörter einer Strophe mit 1–6 nummeriert, dann kommen sie in der darauffolgenden Strophe in folgender Reihenfolge vor: 6 1 5 2 4 3; die übernächste Strophe enthält diese Reimwörter dann in der Folge 3 6 4 1 2 5 usw. An die sechs Strophen schließt sich eine dreizeilige Coda an, in der sämtliche Reimwörter in der ursprünglichen Reihenfolge der ersten Strophe noch einmal (zwei pro Zeile) wiederkehren. Es sind auch andere Reihenfolgen möglich. Übereinstimmend ist dabei, dass die Reimwörter in jeder Strophe beibehalten werden. 

 

Die Ursprünge dieser Gedichtform sind in der Troubadourlyrik des 12. Jahrhunderts zu finden. Als Urheber gilt Arnaut Daniel, der in seiner Kanzone "Lo ferm voler" die Sestine etablierte. In der Folge übernahmen andere Troubadoure dieses Reimschema.

 

(Quelle und weitere Informationen)

Sestine trauriger Liebe

Strophe 1:

1. Als ich das erste Mal berührte deine Hand,

2. und Worte mir erklangen schön aus deinem Mund,

3. als ich zuerst erahnte deinen tiefen Sinn,

4. und mir sich damals bot ein Funke deines Geists,

5. als du mich einst erhelltest durch dein lichtes Herz,

6. da schien es mir als sah ich einen Teil von Gott.

 

Strophe 2:

7. So stehe ich und glaube jetzt an diesen Gott,

8. auch fühle ich noch in Gedanken deine Hand,

9. so wärme ich mich an dem Licht aus deinem Herz,

10. und labe mich fürwahr am Klang aus deinem Mund,

11. und rühme immerdar noch immer deinen Geist,

12. und träume stets ich wäre Teil von deinem Sinn.

 

Strophe 3:

13. So warst du jeden Tag für mich des Lebens Sinn,

14. ich betete und sang und ehrte meinen Gott,

15. und sinnte dich zu sehn zermarterte den Geist,

16. wie es mir bloß gelingt zu küssen deine Hand,

17. als wenn er nur dafür geschaffen wär mein Mund,

18. doch weils mir nicht gelang erkrankte schlimm mein Herz.

 

Strophe 4:

19. So tief zerstört der Schmerz mein Lieb geplagtes Herz,

20. so trüb gefärbt in grau zermürbt es mir den Sinn,

21. in Asche kalt getränkt zergeht mir Zung und Mund,

22. sehr fern von dieser Welt erscheint mir jetzt mein Gott,

23. so taub gestorben kalt ermattet meine Hand,

24. und lähmt in dieser Stund im Todesgriff den Geist.

 

Strophe 5:

25. Ich geb mein Leben hin befehle meinen Geist,

26. nur dir Gevatter Tod erlösche du mein Herz,

27. und führe mich hinab an deiner starken Hand,

28. es macht für mich zuletzt zu leben keinen Sinn,

29. drum bringe mich zum Herrn den mir so gnädgen Gott,

30. daß er mich zu sich nimmt und schließe meinen Mund.

 

Strophe 6:

31. Und wenn ich dort dereinst erblicke deinen Mund,

32. wenn sich dein Körper löst von deinem reinen Geist,

33. dann soll im Paradies mein mir so gnädger Gott,

34. doch schenken daß du mich auch liebst aus vollem Herz,

35. und wir von gleicher Art im liebesgleichen Sinn,

36. dann singen dieses Lied für immer Hand in Hand:

 

Coda:

37. Ich halte deine Hand und küsse deinen Mund,

38. begreife deinen Sinn, erforsche deinen Geist,

39. bin Teil von deinem Herz, bekenne es vor Gott.

 

Hördatei des Gedichts

 

 

Erläuterungen:

In dieser Sestine geht es klassisch um eine unglückliche Liebe und meine „Reimwörter“ sind: HAND, MUND, SINN, GEIST, HERZ, GOTT und bilden jeweils zwei Repräsentanten des menschlichen Prinzips von Körper (Hand, Mund), Verstand (Sinn, Geist) und Seele (Herz, Gott).

Als zusätzliches „Bonbon“ habe ich noch darauf geachtet, dass jede Zeile aus sechs alternierenden, jambischen Silbenpärchen besteht um die Zahl sechs nicht nur in Anzahl der Strophen und Zeilen pro Strophe zu haben.

Ewig fühlen

1.        

Immer wollt‘ ich vor die stehen,

dich so wie du bist nur sehen,

ich wollt deine Stimme hören,

deiner Worte Klang beschwören,

wollt‘ dich wie kein andrer fühlen,

tief in unsren Seelen wühlen.

 

2.        

Augenblicke mich zerwühlen,

die im Licht der Zeiten stehen,

sich wie Ewigkeit anfühlen,

lassen mich den Himmel sehen,

so wie es die Engel schwören,

wenn sie Gottes Worte hören.

 

3.        

Alle meine Poren hören,

alle meine Seelen wühlen,

alle meine Glieder schwören,

alle meine Haare stehen,

alle meine Sinne sehen,

so verrückt will ich dich fühlen.

 

4.        

Kannst du meine Liebe fühlen,

meiner Worte Sehnsucht hören,

meiner Augen Freude sehen,

wie mich Herz und Geist aufwühlen,

siehst du,  wie die Dinge stehen,

hörst du, wie‘s die Sinne schwören?

 

5.        

Solltest du mir Liebe schwören,

und die tiefe Freude fühlen,

in den höchsten Himmeln stehen,

den Gesang der Sehnsucht hören,

sollt es dir das Herz zerwühlen,

solltest du den Himmel sehen.

 

6.        

Werden wir uns wiedersehen,

werden wir gemeinsam schwören,

in den Seelen tiefer wühlen,

uns zusammen sicher fühlen,

ewig unsre Herzen hören,

und vereint zusammenstehen.

 

Coda:

Heute Stehen wir und sehen,

morgen hören wir das Schwören,

ewig fühlen wir das Wühlen.

 

(Hat eine Melodie 🎵)